Wirtschaftsspiegel Thüringen Ausgabe 06/2013 - page 13

Fach- & Führungskräfte
13
jedoch nicht auf einen gemeinsamen
Ansatz einigen.
Vor diesem Hintergrund präsentierte
jüngst die Thüringer Landtagsfraktion
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein
Konzept, das ökonomische, soziale und
ökologische Faktoren konsequent zu-
sammendenkt. Der vornehmlich an der
Forschungsstätte Evangelischer Stu-
diengemeinschaft (FESt) Heidelberg
entwickelte, sogenannte Nationale bzw.
Regionale Wohlfahrtsindex (NWI/RWI)
behält den Grundansatz des BIP bei,
rechnet aber anders. Es wird versucht,
positive und negative wohlfahrtsrele-
vante Entwicklungen in Geldwerten
auszudrücken und zusammenzurech-
nen. Konkret bedeutet dies zum Bei-
spiel, dass die Kosten von CO
2
-Emis-
sionen, Flächenverbrauch, von Unfällen
und Kriminalität mit einem Preisschild
für die Gesellschaft versehen werden.
Umgekehrt werden etwa ehrenamtliche
Arbeit, öffentliche Ausgaben für Bildung
und Gesundheit oder der Gewinn von
Biotopflächen positiv gewertet. Anhand
von Zeitreihen lassen sich dann Ver-
gleiche mit dem BIP anstellen.
Im Ergebnis des nun erstmals für
Thüringen und andere Bundesländer
vorliegenden RWI zeigt sich ein etwas
anderes Bild von den Tendenzen gesell-
schaftlicher Entwicklung im Freistaat
als in der bisherigen Perspektive:
Während das BIP im Berichtszeitraum
insgesamt relativ konstant blieb und
2009/2010 sogar leicht stieg, sank der
Wert des RWI um ganze 17 Prozent-
punkte.
Woraus ergibt sich aber diese Diskre-
panz der Entwicklungen von BIP und
RWI in Thüringen – die sich in Bundes-
ländern wie Schleswig-Holstein oder
Bayern erstaunlicherweise nicht in der
gleichen Weise feststellen lassen? Ent-
scheidende Faktoren für diese Entwicklung sind die
negative Bevölkerungsentwicklung, stagnierende
Einkommen und eine sich verschlechternde Einkom-
mensverteilung. Denn diese wirken sich ungünstig auf
die Konsumausgaben der Thüringerinnen und Thürin-
ger aus. Aber auch Umweltfaktoren spielen eine be-
deutende Rolle: Im Jahr 2008 lag der Stromverbrauch
in Thüringen um 10,6 Prozent höher als 1999. Hinzu
kommt ein geschätzter Anstieg der Fahrleistung thü-
ringischer Kraftfahrzeuge von 15,7 Milliarden Kilo-
metern im Jahr 1999 auf 16,6 Milliarden Kilometer im
Jahr 2010. Beides trotz stetig sinkender Einwoh-
nerzahlen.
Wir Grünen in Thüringen verstehen die Ergebnisse der
Studie vor allem als einen Auftrag an die Politik im
Land. Zweifellos kann die Politik nicht alle Indikatoren
direkt steuern, da zum Beispiel die Bevölkerungs-
entwicklung kurz- und mittelfristig nur bedingt korri-
gierbar ist. Dennoch bietet der RWI wertvolle Hand-
Eine Kurzfassung der Studie steht
unter dem folgenden Link
zur Verfügung:
lungsoptionen, die Entwicklung von
Wohlfahrt und Nachhaltigkeit im Frei-
staat politisch zu beeinflussen. So las-
sen sich vor allem Rückschlüsse auf die
möglichen positiven Effekte der
Einführung eines flächendeckenden
Mindestlohnes sowie flexiblerer Ar-
beitszeitmodelle, einer stärkeren Fi-
nanzierung des Bildungswesens, eines
Ausbaus des öffentlichen Nahverkehrs
und einer flächendeckenden Gesund-
heitsvorsorge ziehen.
Daneben verbindet die bündnisgrüne
Fraktion mit der Studie ein umfassende-
res Anliegen: Wir wollen eine breite öf-
fentliche Auseinandersetzung über die
Grenzen der bisherigen Wachstums-
orientierung in Politik und Gesellschaft
sowie über die Möglichkeiten einer
Transformation bisherigen Wirtschaf-
tens befördern. Daher sprechen wir auch
regionale und lokale Wirtschaftsvertre-
ter gezielt an, die den Zusammenhang
von gesellschaftlicher Wohlfahrt und
wirtschaftlicher Prosperität nicht aus
dem Auge verlieren und zu entsprechen-
der Gestaltungsverantwortung bereit
sind. Wenn uns an einer langfristigen
Stabilisierung und Steigerung des
Wohlfahrtsniveaus gelegen ist, braucht
es Formen des Wirtschaftens, welche
ökologische Schäden und soziale
Schieflagen von vornherein und so weit
wie möglich zu vermeiden suchen. Wir
Thüringer Grünen verstehen den Green
New Deal als einen Versuch, Wirtschaft,
Wachstum und Gesellschaft in dieser
Weise zusammen zu denken. Denn er
zielt auf die Entkopplung unseres
Wirtschaftens vom Ressourcenverbrauch
und zeigt darüber hinaus Perspektiven
einer modernen sozialökonomischen
und politischen Transformation unserer
Gesellschaft auf. Wir glauben, dass Thü-
ringen das Potenzial hat, Impulsgeber in
diese Richtung zu sein. Die Chance soll-
ten wir nicht ungenutzt lassen.
Das Hamsterrad macht
nicht glücklich.
Anja Siegesmund,
Landtagsfraktionsvorsitzende B´90/Grüne
Foto: B´90 / Grüne
1...,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12 14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,...44
Powered by FlippingBook